Autoren: Marc-Philipp Crepaz, Gilles Bernard, Jo-Anne Delmarque, Eva M. Jabinger, Ursula M. Costa | fh gesundheit Tirol
Hintergrund
Die Versorgung von Patient:innen mit Demenz und Delir ist eine zentrale Herausforderung in der intramuralen Betreuung. Obwohl bisherige Schulungsangebote meist Ärzt:innen und Pflegekräfte ansprechen, werden andere Gesundheits- und Sozialberufe häufig nur unzureichend berücksichtigt. Gerade im Krankenhaus erfordert der Umgang mit Patient:innen und ihren Angehörigen spezialisierte Kompetenzen – dennoch stehen für Angehörige der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD), medizinische Assistenzberufe Hebammen und Sozialarbeiter:innen vorwiegend allgemeine Basisschulungen zur Verfügung, die wenig auf deren spezifische Anforderungen eingehen.
Interne Auswertungen (2015 und 2019) an den tirol kliniken mit Angehörigen der MTD haben gezeigt, dass insbesondere „Strategien in der Kommunikation“, „Interventionen bei herausforderndem Verhalten“ und „Fachwissen über Delir/Demenz“ als zentrale Themen für Schulungsmaßnahmen gelten. Daraus entstand das Vorhaben, einen Online-Kurs im Format eines Micro-Credential über den Umgang mit Patient:innen mit Delir/Demenz für nicht-ärztliche und nicht-pflegerische Gesundheitsberufe im Krankenhaus zu entwickeln. Dieses Angebot wird aus Mitteln des Tiroler Gesundheitsfonds und den Projektpartner:innen finanziert.
Ziel
Entwicklung eines praxisrelevanten Online-Fortbildungsprogramms für MTD-H Berufe, das spezifische Kompetenzen im Umgang mit Demenz und Delir stärkt und interdisziplinäre Zusammenarbeit fördert.
Methoden
- Mixed-Methods-Ansatz: Erhebung des Qualifizierungsbedarfs aus Sicht der MTD-H Berufe mittels dreier Fokusgruppeninterviews (n = 17) sowie einer Puls-Erhebung (n = 215) an fünf Fonds-Krankenanstalten in Tirol.
- Text-Netzwerkanalyse (InfraNodus): Abgleich der selektiven Transkripte, Identifikation zentraler Themen und semantischer Zusammenhänge.
- Thematische Inhaltsanalyse & GPT-4: Kombination von qualitativer Inhaltsanalyse mit KI-gestützten Verfahren, ergänzt durch „Human–in–the–loop“ Ansatz für Validierung und Strukturierung der Ergebnisse.
- Iterative Feedback-Schleifen: Kontinuierliche Optimierung der Nutzer:innenfreundlichkeit im Rahmen der Kurs–Entwicklungsphasen.
Untersuchungsdesign
Ergebnis Netzwerk-Graph
Wie aus Text ein Netzwerk entsteht
Die Inhaltsanalyse der Transkripte und Rückmeldungen aus der Puls-Erhebung erfolgte über die Open Source Software InfraNodus. Text wird in ein Netzwerk überführt, indem es die Beziehungen zwischen Wörtern analysiert:
- Textvorbereitung:
- Normalisierung: Wörter werden auf ihre Grundform (Lemma) reduziert. Satzzeichen und unwichtige Wörter (Stoppwörter) werden entfernt.
- Netzwerkbildung:
- Knoten: Die verbleibenden Wörter werden zu Knoten im Netzwerk.
- Kanten: Beziehungen zwischen Wörtern werden als Kanten dargestellt. Die Nähe der Wörter im Text bestimmt die Verbindung:
- Bigramme: Direkt aufeinanderfolgende Wörter erhalten eine starke Verbindung (Gewicht 3).
- 4-Gramme: Wörter innerhalb eines 4-Wort-Fensters werden verbunden, wobei die Nähe das Gewicht bestimmt (direkt benachbart: Gewicht 2, ein Wort dazwischen: Gewicht 1).
- Gewichtung: Mehrere Verbindungen zwischen zwei Wörtern werden addiert.
- Einflussreiche Wörter:
- Betweenness Centrality: Ein Algorithmus identifiziert die wichtigsten Wörter (Knoten), die auf vielen kürzesten Pfaden zwischen anderen Wörtern liegen. Diese werden im Netzwerk größer dargestellt.
- Themenmodellierung:
- Community Detection: Eng verbundene Wörter werden zu Themenclustern gruppiert.
- Force-Atlas: Die Cluster werden im Netzwerk angeordnet, um die Beziehungen zwischen den Themen zu visualisieren.
InfraNodus erkennt die wichtigsten Konzepte (Wörter) im Text und bildet ihre Beziehungen basierend auf ihrer Nähe ab. So entsteht ein Netzwerk, das die Struktur und die Themen des Textes aufzeigt.
Thematische Cluster und übergeordnete Themen in InfraNodus
Die thematischen Cluster bestehen aus den Knoten (Wörtern), die im gleichen Kontext (nebeneinander) vorkommen. Der Prozentsatz zeigt den relativen Einfluss eines Themas in einem Diskurs, basierend auf der Summe der Betweenness-Zentralität der darin enthaltenen Knoten (Paranyushkin 2019).
Thematische Cluster und übergeordnete Themen; Gruppeninterviews und Antworten der Pulse-Erhebung:

Online-Fortbildungsprogramm umgesetzt in Moodle

Ergebnisse
Die Analyse ergab sechs zentrale Qualifizierungsfelder:
- Demenz- und Delirmanagement
- Kommunikation mit Betroffenen und innerhalb des Versorgungsteams
- Ressourcennutzung
- Diagnostik
- Umgang mit ethischen Fragestellungen
- Theoretisches Wissen mit praktischer Anwendung
Die Anwendung von Text-Netzwerkanalyse (InfraNodus) und KI-gestützten Verfahren (GPT-4) ermöglichte eine effiziente Priorisierung relevanter Themen die in die Entwicklung des Fortbildungsprogramms einflossen.
Schlussfolgerung / Diskussion
Das Online-Fortbildungsprogramm bietet innovative, bedürfnisorientierte Lösungsansätze für die Betreuung von Patient:innen mit Demenz/Delir. Es stärkt insbesondere die fachlichen Kompetenzen relevanter Berufsgruppen und verbindet wissenschaftlich fundierte Methoden mit praktischer Anwendbarkeit.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit und partizipative Entwicklungsansätze tragen dazu bei, Bildungsangebote gezielt zu optimieren und die Qualität der Patient:innenversorgung nachhaltig zu verbessern.
Das Konzept kann als Vorbild für ähnliche Projekte dienen, insbesondere im Hinblick auf die Verknüpfung von partizipativer Qualitätsentwicklung, Innovation und Praxisorientierung.
Literatur (Auszug)
Anderson, L. W., Krathwohl, D. R., Airasian, P. W., & Cruikshank, K. A. (2001). A taxonomy for learning, teaching, and assessing: A revision of Bloom’s taxonomy of educational objectives (1st ed.). Longman.
Bortz, J., & Döring, N. (2006). Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler (Sonderausgabe der 4. Auflage). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-540-33306-7
Mietzel, G. (2017). Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. Hogrefe.
Müller, K., Liebig, C., Straatmann, T., & Bungard, W. (2010). Puls- und Change-Befragungen: Zeitgemäße Instrumente zur Steuerung und Evaluation von Organisationsentwicklungs- und Veränderungsprozessen. OrganisationsEntwicklung, (3), 66–71.
Niegemann, H. M., Hessel, S., Hochscheid-Mauel, D., Aslanski, K., Deimann, M., & Kreuzberger, G. (2004). Kompendium E-Learning. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-18677-6
Paranyushkin, D. (2019, May). InfraNodus: Generating insight using text network analysis. In The World Wide Web Conference (pp. 3584–3589). ACM.
Schenkel, P. (Ed.). (2000). Qualitätsbeurteilung multimedialer Lern- und Informationssysteme: Evaluationsmethoden auf dem Prüfstand. BW-Verlag.
Skinner, B. F. (1958). Teaching machines. Science, 128(3330), 969–977. http://www.jstor.org/stable/1755240
Projektteam
Mag. Marc-Philipp Crepaz A*
Gilles Bernard, BSc MA A
Prof.in (FH) Eva Maria Jabinger, MBA MSc MSc BSc A,B
Jo-Anne Delmarque, BSc A
Prof.in (FH) Mag.a Dr.in Ursula M. Costa, MA C,D
A Tirol Institut für Qualität im Gesundheitswesen – TiQG
B MSc Qualitäts- und Prozessmanagement im Gesundheitswesen, Master of Business Administration im Gesundheitswesen
C Institut für Innovation, Nachhaltigkeit und Transformation im Gesundheits- und Sozialwesen (InnTra)
D MSc in Ergotherapie und Handlungswissenschaft
fh gesundheit | health university of applied sciences tyrol, Innrain 98, 6020 Innsbruck, www.fhg.tirol.ac.at
* marc-philipp.crepaz@fhg-tirol.ac.at