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Myofasciale Selbstmassage am Arbeitsplatz: Ein evidenzbasierter Ansatz zur Prävention von Rückenschmerzen

Ein Forschungsbeitrag des Tirol Instituts für Qualität im Gesundheitswesen – TiQG


Österreich steht vor einer alarmierenden gesundheitlichen Herausforderung: Rückenschmerzen haben sich zur häufigsten Ursache für Krankheitslast entwickelt (Global Burden of Disease, Rang 1) und betreffen rund 1,76 Millionen Menschen. Diese Problematik manifestiert sich besonders deutlich am Arbeitsplatz, wo 62% der Mitarbeiter:innen täglich oder mehrmals wöchentlich unter Verspannungsschmerzen leiden.

Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind erheblich: Rückenschmerzen stellen die zweithäufigste Einzeldiagnose für Krankschreibungen dar und verursachen jeden vierten Arbeitsunfähigkeitstag. Doch hinter diesen Zahlen verbergen sich individuelle Leiden – beeinträchtigte Arbeitsfähigkeit, reduzierte Konzentration, verschlechterte Stimmung, Schlafstörungen und verminderte Lebensqualität.

Die myofasciale Selbstmassage stellt einen innovativen, niederschwelligen Ansatz zur Schmerzprävention dar. Das Tirol Institut für Qualität im Gesundheitswesen untersuchte die Wirksamkeit höhenverstellbarer Faszienrollen und Triggerpunkthebel im betrieblichen Kontext.

Myofasciale Selbstmassage mit höhenverstellbaren Rollen und Triggerpunkthebel
Rückentherapie-System TensionTerminator: https://ergophysion.com

Studiendesign

Die Evaluierung erfolgte mittels einer kontrollierten Anwendungsbeobachtung unter wissenschaftlicher Begleitung von Univ.-Prof. Dr. Erich Mur (UMIT Tirol, Research Unit für Orthopädische Physiotherapie, Leiter Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Landeskrankenhaus Innsbruck).

Studiendaten:

  • Zeitraum: Herbst 2020 bis Herbst 2021
  • Stichprobe: N = 297 Teilnehmer:innen
  • Intervention: TensionTerminator-Rückentherapiegerät
  • Design: Anwendungsbeobachtung (AWB)

Schmerzreduktion

Die Studie dokumentiert statistisch signifikante Verbesserungen in kritischen Schmerzbereichen:

NackenbereichUnterer Rückenbereich
Vorher:M = 3.173M = 3.024
Nach Intervention:M = 2.785M = 2.247
Statistik:W = 3204.5, p < .001W = 1654.5, p < .001
Effektstärke:rB = .377 (mittlere Effektstärke)rB = .591 (hohe Effektstärke)

Beweglichkeitsverbesserung

Die biomechanischen Messungen mittels CROM (Cervical Range of Motion) zeigen bemerkenswerte Fortschritte:

RotationLaterale Seitenneigung
Vorher:M = 144.730°M = 82.111°
Nach Intervention:M = 166.865°M = 95.881°
Statistik:W = 76.73, p < .001W = 345.50, p < .001
Effektstärke:rB = .980 (sehr große Effektstärke)rB = .909 (große Effektstärke)

Erfolgsfaktoren

Die Studienergebnisse unterstreichen die Bedeutung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur als kritischen Erfolgsfaktor. Die nachhaltige Integration präventiver Maßnahmen erfordert eine systematische organisationskulturelle Verankerung.

Methodische Limitationen

Die COVID-19-Pandemie beeinflusste den Studienverlauf erheblich und stellt eine wichtige Kontextvariable dar. Die hohe Streuung der Anwendungshäufigkeit deutet auf individuelle Unterschiede in Akzeptanz und Nutzungsverhalten hin – ein Befund, der die Komplexität verhaltensbasierter Gesundheitsinterventionen verdeutlicht. Die Methodik der Anwendungsbeobachtung (AWB) weist inhärente Beschränkungen auf.

Evidenzbasierte Empfehlungen

  1. Systematische Integration: Myofasciale Selbstmassage sollte als strukturierte Komponente betrieblicher Gesundheitsförderung mit berücksichtigt werden.
  2. Individualisierung: Berücksichtigung individueller Präferenzen und Nutzungsmuster.
  3. Kulturelle Faktoren: Aufbau unterstützender organisationaler Rahmenbedingungen.

Volkswirtschaftliche Perspektive

Die Implementierung myofascialer Selbstmassage-Programme zeigt erhebliches Potenzial zur:

  • Primärprävention von Rückenschmerzen
  • Steigerung der Arbeitsfähigkeit
  • Reduktion krankheitsbedingter Fehlzeiten

Die Forschungsergebnisse belegen eindeutig die Wirksamkeit myofascialer Selbstmassage zur Reduktion arbeitsbedingter Beschwerden. Die einfache Integration in den Arbeitsalltag macht diese Intervention besonders attraktiv für betriebliche Gesundheitsprogramme.

Die zentrale Forschungsfrage – wie gesundheitlich wirksame Angebote im Unternehmen nachhaltig genutzt werden können – bleibt jedoch weiterhin hochrelevant und erfordert interdisziplinäre Forschungsansätze.


Kontakt für Rückfragen: 
Mag. Marc-Philipp Crepaz
Tirol Institut für Qualität im Gesundheitswesen
fhgesundheit, Zentrum für Gesundheitsberufe Tirol
Innrain 98, 6020 Innsbruck
marc-philipp.crepaz@fhg-tirol.ac.at
www.tiqg.at