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Interprofessionelle Versorgung bei Demenz und Delir: Tätigkeiten von MTD-Berufen, Hebammen und Sozialarbeiter:innen im klinischen Kontext

Demenz und Delir stellen komplexe neurokognitive Störungen dar, die einen multiprofessionellen Versorgungsansatz erfordern. Während Demenz eine chronisch progrediente Erkrankung mit irreversiblem Verlust kognitiver Fähigkeiten darstellt, handelt es sich beim Delir um einen akuten, potenziell reversiblen Verwirrtheitszustand. Trotz ihrer unterschiedlichen Ätiologie und Verlaufsformen weisen beide Erkrankungsbilder Überschneidungen in ihrer klinischen Manifestation auf und erfordern eine differenzierte, interprofessionelle Herangehensweise.

Der vorliegende Beitrag beleuchtet die spezifischen Tätigkeiten und Interventionen verschiedener Berufsgruppen entlang des intramuralen Versorgungsprozesses bei Demenz und Delir. Basis bildet eine Erhebung der Tätigkeiten der einzelnen Berufsgruppen im Versorgungsprozess von Patient:innen mit Demenz oder Delir im Rahmen der Entwicklung eines Nanodegrees Demenz und Delir für MTD, H, SOZ, MAB. Dabei wurden die Beiträge von den Studiengangsleitungen der Diätologie, Ergotherapie, Hebammen, Physiotherapie und Radiologietechnologie an der fh Gesundheit sowie der Leitung der Sozialarbeiter:innen am Landeskrankenhaus Innsbruck analysiert und in den Kontext eines ganzheitlichen Versorgungskonzepts gestellt.

Im Folgenden wird die Rolle der verschiedenen Berufsgruppen in diesen Phasen dargestellt.

Phasen im intramuralen Versorgungsprozess

Diagnostik und Interventionsplanung

Diätolog:innen sind bereits in der frühen Phase des Versorgungsprozesses involviert. Sie stimmen die diätologische Zielsetzung im interprofessionellen Team ab und legen die geeignete Kostform fest. Diese Tätigkeiten sind sowohl bei Demenz als auch bei Delir von zentraler Bedeutung, da beide Erkrankungsbilder mit einem erhöhten Risiko für Mangelernährung einhergehen können.

Therapiemaßnahmen und Interventionen

Im Rahmen der Therapie führen Diätolog:innen ein Screening und Assessment des Ernährungszustandes durch, wobei ein besonderes Augenmerk auf Mangelernährung gelegt wird. Darauf aufbauend entwickeln sie eine individuelle Ernährungstherapie, die Schulungen, Esstraining und Beratung umfasst. Die Verlaufskontrolle hinsichtlich Flüssigkeitszufuhr, Energiezufuhr und Konsistenz der Speisen stellt einen weiteren wichtigen Aspekt dar. Bei Bedarf wird die Kostform an den aktuellen Ernährungszustand adaptiert.

Entlassung und Nachsorge

Im Rahmen des Entlassungsmanagements organisieren Diätolog:innen bei Bedarf eine HomeCare-Versorgung und erstellen einen Therapiebrief. Zudem stellen sie sicher, dass eine Angehörigenberatung zur Ernährungstherapie im Zuge der Entlassung erfolgt und dokumentieren den Therapieverlauf sowie die Ergebnisse.

Erstkontakt und Diagnostik

Ergotherapeut:innen beobachten die Patient:innen in der unmittelbaren Situation und gehen adäquat auf sie ein. Sie beziehen sich auf den Zuweisungskontext und werten vorab verfügbare Informationen von Pflegekolleg:innen, Angehörigen und Betreuungspersonen aus.

Bei Demenz erstellen sie einen ergotherapeutischen Erstbefund (z.B. mittels MoCA, PAL-Assessment, Befundgespräch, Beobachtung) einschließlich einer Handlungsperformanzanalyse. Je nach Auftrag und Gesundheitssituation wählen sie passende Mittel, Instrumente, Methoden und Maßnahmen unter Berücksichtigung der jeweiligen Handlungsbiographie aus.

Bei Delir liegt der Fokus auf der Auswahl passender Mittel, Instrumente, Methoden und Maßnahmen je nach Auftrag und Gesundheitssituation im Kontext des Delirs.

Therapiemaßnahmen und Interventionen

Die ergotherapeutischen Interventionen sind bei beiden Erkrankungsbildern individualisiert und personzentriert, basierend auf kollaborativer Zielsetzung. Bei Demenz berücksichtigen sie die Lebens-, Gesundheits- und Alltagssituation der Betroffenen, während bei Delir der Fokus auf der individuellen Gesundheitssituation und der aktuellen Situation im Stationsalltag liegt.

Sowohl bei Demenz als auch bei Delir kommen Ansätze wie KRAH® und Validation zum Einsatz. Die Einbeziehung der Angehörigen und eine passende Umweltgestaltung sind weitere wichtige Aspekte. Die prozessuale Evaluation erfolgt bei Demenz KRAH-basiert sowie anhand der Rückmeldungen des interprofessionellen Teams, bei Delir primär anhand der Rückmeldungen des Teams.

Entlassung und Nachsorge

Bei Demenz klären Ergotherapeut:innen den häuslichen Alltag inklusive Wohn- und Betreuungsform ab und übernehmen das ergotherapeutische Case- und Entlassungsmanagement. Bei Delir erfolgt die Übergabe an das Stationsteam.

Kommunikation und Zusammenarbeit

Bei Demenz stehen interprofessionelle Absprachen und die Einbeziehung der An- und Zugehörigen sowie gegebenenfalls formeller und informeller Betreuungspersonen im Vordergrund. Der Abschlussbefund erfolgt im Sinne eines Pre-Post-Befunds anhand des eingangs gewählten Erstbefundszenarios.

Bei Delir kommunizieren Ergotherapeut:innen in engem Austausch mit dem interprofessionellen Team, speziell mit Blick auf Bedürfnisse im aktuellen Akutgeschehen. Bei fortbestehenden Einschränkungen nehmen sie eine ergotherapeutische Befundaufnahme einschließlich Handlungsperformanzanalyse vor und geben die Ergebnisse und weiterführenden Therapieempfehlungen an das Stationsteam, Angehörige sowie das Entlassungsmanagement weiter.

Diagnostik und Risikofaktoren

Auch Hebammen spielen eine wichtige Rolle bei der Identifikation von Risikofaktoren für Demenz und Delir im Kontext von Schwangerschaft und Geburt. Bei Demenz werden Präeklampsie als Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer Demenz, fetale Alkoholspektrumstörungen in der Schwangerschaft sowie neuropsychologische, psychiatrische und metabolische Konsequenzen des Gestationsdiabetes berücksichtigt.

Bei Delir achten Hebammen auf Faktoren wie starkes anämisches Geschehen durch Hämorrhagie, schwere Erkrankung der Präeklampsie, mögliche Überdosierung von Lachgas während der Geburt und schwere psychische Traumata aufgrund von Verlusterlebnissen. Zudem wird auf ein akutes Delir in der Schwangerschaft und den Verdacht auf Einflüsse belastender Ernährung geachtet.

Therapiemaßnahmen und Interventionen

Bei beiden Erkrankungsbildern leiten Hebammen die Patient:innen an Expert:innen wie Neonatolog:innen, klinische Psycholog:innen, Psychiater:innen und Diätolog:innen weiter und beziehen bei Bedarf die Angehörigen ein oder initiieren Schutzmaßnahmen.

Entlassung und Nachsorge

Im Rahmen der Nachsorge bieten Hebammen eine Hebammennachbetreuung an und vermitteln zu Angeboten wie Frühe Hilfen oder Caritas Familienhilfe.

Kommunikation und Zusammenarbeit

Hebammen arbeiten interprofessionell mit anderen Berufsgruppen zusammen, um eine ganzheitliche Versorgung zu gewährleisten.

Diagnostik und Zielfindung

Physiotherapeut:innen setzen sich sowohl bei Demenz als auch bei Delir Ziele auf der Aktivitäts- und Partizipationsebene.

Therapiemaßnahmen und Interventionen

Bei Demenz umfassen die physiotherapeutischen Interventionen Validation, Orientierungstraining, Aktivierung und Kräftigung, Verbesserung und Erhalt vorhandener Fähigkeiten sowie Wiederherstellung verloren gegangener Fähigkeiten (z.B. Mobilität und Selbstständigkeit). Weitere Aspekte sind die Strukturierung von Routine und Tagesablauf, ADL-Training (Activities of Daily Life), symptomorientierte Therapie (z.B. Schmerztherapie), Sturzprophylaxe und Gruppentherapie zur Förderung sozialer Interaktion.

Bei Delir liegt der Fokus auf Mobilisation, Strukturierung von Routine und Tagesablauf, Orientierung, Entspannung oder Aktivierung, ADL-Training und symptomorientierter Therapie je nach Dysfunktion.

Entlassung und Nachsorge

Bei beiden Erkrankungsbildern führen Physiotherapeut:innen eine Patient:innenedukation und Angehörigenschulung durch. Bei Delir wird zusätzlich ein angepasstes Heimprogramm erstellt.

Diagnostik und Befundung

Radiologietechnolog:innen führen CT/MRT als bildgebende Verfahren durch und haben hier Erstkontakt mit Demenz-Patient:innen. Weitere Diagnostik ist in der Nuklearmedizin möglich. Die Diagnose und Befundung erfolgt durch Radiolog:innen.

Bei Delir werden ebenfalls CT/MRT zur Abklärung (Differentialdiagnostik) durchgeführt.

Therapiemaßnahmen und Kommunikation

Bei beiden Erkrankungsbildern kommunizieren Radiologietechnolog:innen während der CT bzw. MRT Untersuchung mit den Patient:innen. Bei der Patient:innenaufklärung und Einwilligung zur Untersuchung ist die Einbeziehung der Angehörigen wichtig.

Erstkontakt und Zuweisung

Die Zuweisung der Sozialberatung erfolgt über die behandelnde Station oder Ambulanz. Es können sich auch Betroffene oder Angehörige direkt melden.

Therapiemaßnahmen und Interventionen

Sozialarbeiter:innen klären sozial- und versicherungsrechtliche Ansprüche (z.B. Pflegegeld) der Patient:innen, beraten über sozialrechtliche Ansprüche von pflegenden Angehörigen und beraten und regen gegebenenfalls eine Erwachsenenvertretung an.

Entlassung und Nachsorge

Im Rahmen der Entlassung organisieren Sozialarbeiter:innen die weitere stationäre Versorgung (Heimplatzanmeldung) und psychosoziale Betreuungsangebote (mobile Begleitung durch PSP, Pro Mente Tirol, Mohi, Vaget, etc.).

Kommunikation und Zusammenarbeit

Sozialarbeiter:innen arbeiten eng mit dem medizinischen Personal sowie extramuralen Kooperationspartner:innen zusammen. Die Dokumentation erfolgt im Powerchart unter dem Reiter „Entlassungsmanagement“.

Die Analyse der Tätigkeiten der verschiedenen Berufsgruppen zeigt, dass eine erfolgreiche Versorgung von Patient:innen mit Demenz oder Delir nur durch eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit gewährleistet werden kann. Jede Berufsgruppe bringt spezifische Kompetenzen und Perspektiven ein, die sich gegenseitig ergänzen und zu einem ganzheitlichen Versorgungskonzept beitragen.

Während einige Berufsgruppen wie Diätolog:innen und Sozialarbeiter:innen ähnliche Tätigkeiten bei Demenz und Delir ausführen, zeigen sich bei anderen Berufsgruppen wie Ergotherapeut:innen und Physiotherapeut:innen deutlichere Unterschiede in den Interventionen. Dies spiegelt die unterschiedlichen Charakteristika der beiden Erkrankungsbilder wider: Demenz als chronisch progrediente Erkrankung erfordert langfristige, auf den Erhalt von Fähigkeiten ausgerichtete Interventionen, während Delir als akuter Zustand eine stärker auf die unmittelbare Situation ausgerichtete Herangehensweise erfordert.

Für die Zukunft ist eine weitere Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit anzustreben, um die Versorgungsqualität weiter zu verbessern. Dies umfasst sowohl die Optimierung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Berufsgruppen als auch die kontinuierliche Weiterentwicklung spezifischer Interventionen für Demenz und Delir.

Die Auswertung der Rückmeldungen der einzelnen Berufsgruppen erfolgte über Claude.ai, Synthetisierung und Textierung erfolgte mit RooCode in Visual Studio Code.