Die Diskussion um die Anzahl der gesunden Lebensjahre in Österreich ist aktueller denn je. Anhand des nachstehenden Charts möchte ich einen Einblick in die Thematik und zeigen mögliche Diskrepanzen zwischen der allgemeinen Lebenserwartung und den Jahren in guter Gesundheit aufzeigen. Die hier im Chart dargestellten Daten zeigen einen Rückgang der gesunden Lebensjahre zwischen 2010 und 2016, was Anlass zu einer detaillierten Analyse gibt. Doch was sagen die Zahlen wirklich aus? Wie viele gesunde Jahre können wir im Alter erwarten? Und was bedeutet das für die Gesundheitspolitik?
Die Grafik Lebenserwartung in (sehr)guter Gesundheit, Daten Statistik Austria, Darstellung Gesundheit Österreich 2023, zeigt die Entwicklung der Lebenserwartung in guter Gesundheit für Personen ab 65 Jahren in Österreich über mehrere Jahrzehnte hinweg. Es werden sowohl Männer als auch Frauen betrachtet, wobei ein klarer, positiver Trend seit 1978 zu erkennen ist. Die Daten zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der Jahre, die Menschen im Alter von 65 Jahren ohne schwere gesundheitliche Einschränkungen verbringen können.
Das Problem: der obige Chart fand Verbreitung in der Öffentlichkeit und wurde als Argumentationsbasis zur durchsetzung euner politischen Agenda verwendet (Robert et al., 2023). Dieser Chart ist in zweifacher Hinsicht als „problematisch“ anzusehen:
Dieser Chart verzerrt durch die Art der Darstellung
- Die zeitlichen Abstände zwischen den Erhebungsjahren (Datenpunkte) sind unterschiedlich – im Chart werden diese aber als gleich dargestellt;
- Die lineare Trendlinie, die als Bezugspunkt für die Interpretation verwendet wird, ist so in dieser Darstellung eigentlich nicht zulässig, denn die Darstellung beruht auf eine eigenen X-Skala,
- Der Chart wurde im Frühjahr 2023 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Daten für die Jahre 2020, 2021 bereits auf Eurostat verfügbar.
Für die Interpretation fehlt der relevante Kontext
So veröffentlichte die Gesundheit Österreich 2023 dazu ein Factsheet: Datengrundlage und potenzielle Erklärungsansätze, Gesundheit Österreich (Antony et al., 2023).Laut den Autor:innen sind die Schwankungen in den Daten zwischen 2014 und 2019 auf Änderungen in der Befragungsmethodik sowie auf äußere Einflussfaktoren zurückzuführen. Zum Beispiel wurde im Jahr 2014 eine neue Fragestellung im EU‐SILC eingeführt, die zu einem deutlichen Bruch in der Zeitreihe führte. Die zuvor gestellte Entscheidungsfrage wurde verändert, was zu einer tendenziell höheren Angabe von gesundheitlichen Einschränkungen führte.
Datenquellen für die Statistik der gesunden Lebensjahre in Österreich
Die Analyse der gesunden Lebensjahre basiert in Österreich hauptsächlich auf zwei wichtigen Datenquellen:
- EU-SILC: Diese europaweite Statistik untersucht Lebensbedingungen und erfasst insbesondere die Einschränkungen im Alltag durch gesundheitliche Probleme. Dabei werden Personen in Privathaushalten befragt, was jene ausschließt, die in Pflege- oder Gesundheitseinrichtungen leben.
- ATHIS: Diese Gesundheitsbefragung bietet detaillierte Daten zur subjektiven Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands der Befragten.
Für beide Datenquellen wird der sogenannte „Healthy Life Years“-Indikator (HLY) berechnet, der zeigt, wie viele Jahre im Alter von 65 Jahren ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen verbracht werden können. Für beide Datenquellen:
- Kombination der Befragungsdaten mit Sterblichkeitsstatistiken
- Berechnung nach der Sullivan-Methode [Link]
Eine differenzierte Betrachtung – Darstellung des Indikators Gesunde Lebensjahre im Alter von 65 Jahren – Daten der Eurostat
In der nachstehenden Grafik wird die Zeitreihe für Österreich, Deutschland und EU27 ab 2005 dargestellt. Für 2005 wurden für Österreich ein HLY(65)-Wert von 6,8 Jahren angegeben, und für 2022 ein HLY(65)-Wert von 9,4 Jahren angegeben. Dies entspricht einer positiven Veränderung von 2,6 Jahren. Die Daten für Deutschland zeigen für den Zeitraum 2015 einen Sprung von 5 Jahren nach oben, was durch Änderungen bei der Datenerhebung erklärt wird. Daran zeigt sich deutlich, wie stark dieser Indikator durch eine Vielzahl von technischen und konzeptionellen Faktoren beeinflusst werden kann.
Der Indikator gesunde Lebensjahre (HLY) ist anfällig für Verzerrungen durch seine Abhängigkeit von subjektiven Selbsteinschätzungen und kulturellen Unterschieden im Berichtsverhalten (Luy, 2024). Die Sullivan-Methode, die hier zur Berechnung der HLY verwendet wird, basiert auf Querschnittsdaten, die keine Veränderungen im Gesundheitszustand über die Zeit erfassen können, was weiters zu ungenauen Schätzungen führt. Unterschiedliche Definitionen von Gesundheit und die Wahl der Datenquellen beeinflussen die Ergebnisse erheblich, was die Vergleichbarkeit zwischen Ländern erschwert. Methodische Änderungen, wie die Änderung der Datenquelle oder Fragestellung innerhalb der Survey Methode verursachen signifikante und oft irreführende Schwankungen in den Statistiken der gesunden Lebensjahre. Insgesamt sind die HLY-Indikatoren sehr empfindlich gegenüber verschiedenen methodischen und konzeptionellen Faktoren, was ihre Zuverlässigkeit als Maß für die Bevölkerungsgesundheit einschränkt.
Trotz der Kritik bietet dieser Indikator eine wichtige Grundlage zur Bewertung der Gesundheit im Kontext des demographischen Wandels. Bis eine robustere Variante entwickelt ist, sollten die bestehenden Empfindlichkeiten des Indikators bei der Interpretation berücksichtigt werden, insbesondere bei der Formulierung von gesundheitspolitischen Maßnahmen. Ergänzend sei hier nun die Gesunden Lebensjahre 2022 den Gesundheitsausgaben pro Kopf der EU-Länder gegenübergestellt.
Österreich im internationalen Vergleich: Gesundheit versus Ausgaben
Hier zeigt sich, dass Österreich bei vergleichsweise hohen Gesundheitsausgaben die Zahl an Gesunden Lebensjahren ab 65 bescheiden ist. (Datenquelle: Eurostat, eigene Darstellung)
Die Interpretation dieses Charts lässt Rückschlüsse zu, dass die Allokation der Gesundheitsausgaben in Österreich ein hohes Optimierungspotenzial in Hinblick auf die Gesundheit der Östereicher:innen aufweist. Dies deckt sich auch mit der Kritik des Rechnungshofes in seinem Bericht zur Gesundheitsförderung und Prävention 2023.
Die „Gesundheitsziele Österreich“ hatten zum Ziel, bis 2032 eine Verbesserung der Gesundheit aller in Österreich lebenden Menschen zu erreichen, und zwar in Form von durchschnittlich zwei zusätzlichen, in Gesundheit verbrachten Lebensjahren. Die Gesundheitsförderungsstrategie wiederum sollte einen Rahmen für die Stärkung von zielgerichteter und abgestimmter Gesundheitsförderung und Primärprävention in Österreich bilden.
Der Rechnungshof bemängelte insbesondere drei Punkte:
- Finanzierung: Die Mittel für Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht ausreichend und fließen zu großen Teilen in andere Bereiche wie Rehabilitation und Kuren.
- Verbindlichkeit: Viele Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht verbindlich genug und dienen lediglich als Orientierung.
- Evaluierung: Es fehlt an einer systematischen Evaluierung der Maßnahmen und deren Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Maßnahmen zur Erhöhung der Gesunden Lebensjahre in Österreich
Die Bearbeitung der Thematik bietet einige Einblicke in die Herausforderungen und liefert Ansatzpunkte für mögliche Maßnahmen:
Finanzierung:
- Nachhaltige Finanzierung sicherstellen: Der Bericht des Rechnungshofes kritisiert, dass die Finanzierung der Gesundheitsförderungsstrategie unzureichend und nicht nachhaltig ist. Eine Erhöhung der gesunden Lebensjahre erfordert eine langfristige und verlässliche Finanzierung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention.
- Gezieltere Mittelverwendung: Der Großteil der Ausgaben fließt in Bereiche wie Rehabilitation und Kuren, während die Gesundheitsförderung und Prävention unterfinanziert sind. Eine Umschichtung der Mittel zugunsten präventiver Maßnahmen könnte effektiver sein.
- Verbindliche Strategie für alle Akteure: Der Rechnungshof bemängelt, dass die Gesundheitsförderungsstrategie nicht für alle Akteure verbindlich ist. Eine stärkere Verbindlichkeit und Koordinierung der Maßnahmen zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungsträgern ist notwendig.
Evaluierung:
- Systematische Evaluierung der Maßnahmen: Der Rechnungshof kritisiert das Fehlen einer systematischen Evaluierung der Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention. Nur durch eine regelmäßige Evaluierung der Wirksamkeit und Effizienz von Maßnahmen können diese optimiert und zielgerichtet eingesetzt werden.
- Transparenz und Evidenzbasierung: Die Auswahl und Umsetzung von Maßnahmen sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und bestmöglichen Ergebnissen basieren.
Mögliche Maßnahmen:
- Stärkung der Gesundheitskompetenz: Durch Information und Bildung können Menschen befähigt werden, gesundheitsbewusste Entscheidungen zu treffen und Risikofaktoren zu minimieren.
- Förderung eines gesunden Lebensstils: Maßnahmen zur Förderung von gesunder Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Stressbewältigung können einen wichtigen Beitrag leisten.
- Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Stress, körperliche Belastung und ungesunde Arbeitsbedingungen können die Gesundheit negativ beeinflussen.
- Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten: Die Gestaltung von Lebensräumen, die Bewegung und soziale Interaktion fördern, kann zu einer Erhöhung der Lebensqualität beitragen.
Fazit
Trotz der Anfälligkeit des HLY-Indikators für Verzerrungen und methodische Schwächen bleibt er eine zentrale Grundlage zur Beurteilung der Gesundheit der Bevölkerung. Für die Gesundheitspolitik ist es daher von entscheidender Bedeutung, die Feinheiten und Limitationen dieses Indikators im Blick zu behalten, vor allem bei der Ausrichtung zukünftiger Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Bis robustere Alternativen entwickelt werden, ist es unerlässlich, die methodischen Schwächen des aktuellen Ansatzes kritisch zu hinterfragen und bei der Interpretation zu berücksichtigen.
Politische Maßnahmen sollten sich nicht darauf beschränken, statistische Werte zu verbessern, sondern das primäre Ziel verfolgen, die tatsächliche Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu fördern. Die Erhöhung der gesunden Lebensjahre in Österreich ist eine vielschichtige Herausforderung, die eine enge Zusammenarbeit aller relevanten Akteure erfordert. Eine nachhaltige Finanzierung, systematische Evaluierungen und gezielte Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung sind dabei von zentraler Bedeutung, um langfristige Erfolge zu erzielen.